Martin Fröst und das Tonhallen-Orchester Zürich in Dortmund

wa.de
Edda Breski
21.01.2020

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Der Klarinettist Martin Fröst. Foto: bäcker/sony music

Dortmund – Es ist eine große Kunst, notierte Töne so klingen zu lassen, als entstünden sie im Moment des Spielens durch den Spieler neu. Als erschaffe sich durch Luftströme eine eigenständige, völlig unvorhergesehene Welt. Der Klarinettist Martin Fröst beherrscht diese Kunst. Vor mehr als zehn Jahren zeigte er als Junger Wilder am Konzerthaus Dortmund, was er konnte. Am Sonntag kam er für ein Gastspiel mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter Leitung von Paavo Järvi zurück.


Fröst spielt Aaron Coplands Klarinettenkonzert (1948), als seien die Töne Quecksilbertropfen. Nichts klingt wie notiert. Der erste Satz, „Slowly and expressively“, entwickelt sich aus einem wie körperlos einschwebenden Solo. Frösts technische Möglichkeiten erscheinen endlos. Der Ansatz kann hauchfein sein, wie herbeigeweht, oder er pfeift und rumpelt wie eine ganze freche Trollschar. Fröst hat keine Sorge um die sentimentalen Melodieverspinnungen Coplands, sondern kostet sie aus, nutzt sie als Spielwiese für mäandernde Tonfolgen und Klanggebungen. Er tanzt seinen Part im Grunde ebenso vor, wie er ihn spielt. Zwei Schritte vor, einer zur Seite, wandert er auf die Streichergruppe zu, mit der die Klarinette gerade interagiert (das Konzert erfordert neben Streichern nur ein Klavier im Orchester). Seine Tänzelei dient einem konkreten Zweck, nämlich mit den Bewegungen des Schalltrichters seines Instruments auch den Ton wandern zu lassen, als entstehe er jedesmal an einem anderen, etwas verschobenen Ort. So erhält das Konzert die Qualität einer Luxusimprovisation.

Die Kadenz ist ein musikalischer Gestaltwandler, Fröst flötet und pfeift und lacht und groovt. Der zweite, jazzige Satz, „Rather fast“, ist ein präzises Wechselspiel zwischen Fröst und dem fabelhaft mitfedernden Orchester. Als Zugabe gab es eine Improvisation für Benny Goodman, für den Copland das Klarinettenkonzert geschrieben hatte.


Hingeleitet hatte Järvi auf den Copland mit Bartóks Tánczsvit (1923), voll unterdrückter Energie und spielerischer Freude am Klang. Die Effekte, die Bartók in der „Tanzsuite“ zusammenschmiedete – die Posaunen, die klingen wie auf Glatteis, die klappernden Geigenbögen und der kraftmeiernde Wettstreit zwischen Hörnern und Blechbläsern – behandelt Järvi eben nicht wie Überraschungsmomente, sondern wie kluge Gedanken, die einfach aus Lust und Laune die Richtung wechseln. Ein großer Spaß.

Nach der Pause folgte Tschaikowskys 2. Sinfonie, die „Kleinrussische“. Järvi verbindet strenge rhythmische Kontrolle mit einem satten dunklen Klang, der, gerade im Finalsatz, durchaus mal überkandideln kann. Ein Sound wie der Tritt eines Riesenkaters: samtig, schwer, saftig federnd und mit notfalls blitzschnell ausfahrender Klaue. Der gezügelte Marsch im zweiten Satz schlägt bei Järvi in einen breiten Strom dunkler Melancholie um. Das Scherzo ist aber dann straff wie ein Blitzbündel und mündet praktisch bruchlos in die Triumphfanfare des vierten Satzes mit dem berühmten Kranich-Thema. Järvi wird aber nicht folkloristisch. Er versteht die Sinfonie als Kraftprobe und Melodienwerkstatt. Für den warmen Applaus dankte das Orchester mit der Polonaise aus „Eugen Onegin“.

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