Sternstunden mit Hilary Hahn und Paavo Järvi im Konzert in der Tonhalle Düsseldorf – gleichzeitig die musikalische Wiederentdeckung einer lebendigen Brahms-Bruckner-Zeitgenossenschaft
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Peter E. Rytz
24.03.2014

Einmal im Jahr werden die Sternzeichen-Konzerte in der Tonhalle Düsseldorf mit tatkräftiger Unterstützung der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Tonhalle Düsseldorf e.V. zu Sternstunden des Konzertprogramms veredelt. Mit dem diesjährigen Konzert am Sonntag gaben sich mit Hilary Hahn und Paavo Järvi Künstler die Ehre, die zu den herausragendsten Persönlichkeiten des heutigen Musiklebens zählen.
Dem aufmerksamen Beobachter blieb dabei nicht verborgen, dass der damit verbundene Status Very Interesting People auch einen besonderen Sicherheitspreis, respektive Sicherheitsbedarf hat. Dass Hilary Hahn nach ihrem triumphal umjubelten Konzert für Violine und Orchester D-Dur opp. 77 von Johannes Brahms
 in der Pause CDs, Eintrittskarten und Programme signierte und viele 
Begeisterte eine große Schlange vor ihrem Tisch bildeten, und dass das 
alles, durch Sicherheitskräfte abgesichert, nur so in geordneten Bahnen 
ablaufen kann, war klar. Dass aber ein Bodyguard Hilary Hahn zu
 ihrem Konzert bis auf die Bühne begleitete, um sich anschließend 
seitlich der ersten Parkett-Reihen auf einem Stuhl sitzend mit hoher 
Aufmerksamkeit dem Verhalten des Publikum zu widmen, war zumindest für 
den Verfasser dieser Zeilen eine erstmalige Erfahrung.
So auch als Konzertbesucher in einem 
inzwischen alle Lebensbereiche umfassenden Sicherheitssystem 
einjustiert, dauerte es einen Moment um die eigene Aufmerksamkeit dem 
Eigentlichen des Konzertabends zu zuwenden. Und das ist in einem 
Konzerthaus wie der Tonhalle Düsseldorf immer noch die Musik.
Auch wenn viele gekommen waren, um Hahn
 spielen zu sehen, tat sie jedenfalls nichts dazu, mögliche einseitige 
Erwartungen zu bedienen. Ihrem Spiel, bei dem man den Eindruck haben 
konnte, jeder Ton käme geradewegs und direkt aus dem Orpheus-Universum 
idealistisch aufgebauter Harmonien, eine weitere Eloge anzufügen, hieße 
Eulen nach Athen zu tragen.
Das Außergewöhnliche an diesem Konzert war eine wunderbare Harmonie zwischen dem aufmerksam Hilary Hahns Violinspiel beobachtend begleitenden sowie mit wenigen zurückhaltenden Gesten dirigierenden Paavo Järvi,
 der ihr mit dem von ihm über Jahre als Chefdirigenten geprägtem 
HR-Sinfonieorchester einen Klang-Teppich ausrollte, auf dem sie in 
tänzerischer Anmut ihrer Violine jenen kunstvoll verschränkten 
Brahms-Melos entlockte. Järvi und Hahn spielten nicht 
nur eines der seit seiner Uraufführung 1879 in Wien populärsten 
Violin-Konzerte. Sie zelebrierten eine Musik-Partnerschaft, die im 
vollen Vertrauen und Wissen um einen gemeinsamen Resonanzboden des 
musikalischen Ausdrucks 38 Minuten eine Schicksalsgemeinschaft von 
geradezu emphatischer Undingtheit bildete.
Hilary Hahn – modonnenhaft und zugleich in mädchenhafter fraulicher Anmutung – ist zweifellos auf dem Zenit ihres Könnens angekommen.
Schon vor vier Jahren resümierte Die Zeit anhand eines Interviews mit ihr: Aus dem Geigenwunderkind Hilary Hahn ist eine erwachsene Künstlerin geworden.
 Erwachsenwerden muss nicht gleichzeitig ein Erwachsensein bedeuten. 
Dass das bei ihr aufgeht, davon konnte sich das Publikum in der Tonhalle
 Düsseldorf gestern überzeugen. Mit ihrer Zugabe der Courante aus der Partita III E-Dur, BWV 1006 von Johann Sebastian Bach demonstrierte sie noch eine weitere Seite ihres eindrucksvollen Violinspiels. Ihre auch auf CD eingespielten Partitas für Violine solo lassen ihr Spiel besonders durchsichtig und plastisch hörbar werden.
Danach, sollte man meinen, hätte es Järvi
 schwer gehabt, um nach der perfekt gelungenen Balance zwischen 
virtuosem Anspruch der Violine und der sinfonischen Orchestermusik des 
Brahms-Konzerts mit der opulent dimensionierten Symphonie Nr. 3 d-Moll (Fassung von 1888/89) von Anton Bruckner die Konzentration von Orchester und Publikum zu fokussieren. Weit gefehlt!
Järvi ist ein Dirigent mit einer
 musikalisch äußerst selten zu erlebenden Imagination, die sich von 
seinem Pult aus in das Orchester wie Energieentladungen verströmt. Bruckner,
 ein Zeitgenosse Brahms von dem man allerdings den Eindruck haben 
könnte, er stamme von einem anderen Komponisten-Stern, umkreist in 
seinen Sinfonien wieder und wieder den Raum, ohne den Ausgang auf 
direktem Weg zu suchen. Seine Nähe und Fürsprache zu Richard Wagner, dem
 von ihm verehrten Meister der Dicht- und Tonkunst, stempelte ihn im Musikleben des 19.Jahrhunderts zu einem Kontrahenten von Brahms ab.
Diese musikkritisch tradierte Konzertprogramm-Dichotomie führte Järvi mit seiner Interpretation der 3.Bruckner-Sinfonie ab adsurdum. Man merkte ihm und dem HR-Sinfonieorchester an, das sie sich mit ihrem Bruckner
 auskennen. Seit geraumer Zeit sind sie dabei, eine Gesamteinspielung 
aller Bruckner-Sinfonien zu realisieren. Wunderbar zu hören, wie in 
großen Tutti-Bögen die Höhen und Täler, im Gehen unvermittelt zwischen 
Fortissimo und Pianissimo wechselnd, durchmessen werden.
Als die Sinfonie am Ende mit einem 
Brückenschlag zum Kopfsatz zurück geführt wird, sie mit dem kraftvolle 
Zitat des ersten Trompetensignals den Endpunkt markiert, war es, als 
hätte Paavo Järvi Brahms und Bruckner ihre musikalische Zeitgenossenschaft für manchen Zweifler gerade gerückt.

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