CONCERT REVIEW: Der Held stürzt sich ins Schwert

Der Held stürzt sich ins Schwert
Paavo Järvi, neuer Chefdirigent des HR-Sinfonieorchesters, leitete in der Alten Oper sein erstes Frankfurter Abo-Konzert

Frankfurter Neue Presse, 14.10.2006

Ein großer Tag also. Und ein gewaltiger Auftakt mit „Kullervo“, der frühen – op.7 – Sinfonischen Dichtung des jungen Jan Sibelius, die den hyptertrophen Orchesterapparat der „Spätromantik“ samt Soli und einen Männerchor fordert. Ein Werk in fünf Sätzen, das in den letzten 50 Jahren wohl in Frankfurt nicht zu hören war.

Sibelius selbst hat solche Entwicklung gefördert, vielleicht war er doch nicht ganz zufrieden. Andererseits stammt der Text aus dem „Kalevala“-Mythos, auf den er immer wieder gerne zurückgriff. „Kullervo“ selbst ist Kalevalas Sohn, der unwissend seine Schwester schändet, verzweifelt zum Helden wird, um sich selbst ins Schwert zu stürzen. Für Finnland war die Uraufführung jedenfalls die „Wiedergeburt“ seiner Musik. Vermutet man nun hinter der Werkwahl Järvis eine programmatische Idee, so mag diese auf eine verstärkte Sympathie für den Raum der östlichen Ostsee, also vor allem für das Baltikum (Järvi ist ja Este), und Finnland hindeuten. Und beide sind ja gerade für die Musik schöpferisch flexible Landschaften.

Zugleich bietet „Kullervo“ die Chance, die ganze Mannschaft und noch etwas mehr auf die Bühne zu bringen. Dabei erweist sich Paavo Järvi nicht als zaubernder Dompteur, sondern als sorgsam lenkender Souverän, der nicht nur die orchestralen Eruptionen im Griff hat, sondern auf Details selbst im Tumult achtet. Er bewahrt also Strenge, er verfällt nicht den exzessiven Gefühlen oder verliert sich in purer Stimmungsmalerei (die ja Sibelius selbst nicht meidet), sondern belässt dem Drama zum Glanz und zur Wucht der Spannungen auch die Würde, eine „menschliche“ Dimension.

Das Orchester reagiert mit einer zwingenden, in allen Stimmgruppen eindrucksvollen Darstellung. Charlotte Hellekant (Sopran) und Jorma Hynninen (Bariton) als idiomatisch perfekte Solisten machen auch den psychologischen Hintergrund ihrer Partien deutlich. Und der Nationale Männerchor Estlands agiert als Erzähler nicht nur in bestechender Ausgeglichenheit und mit kraftvoller Präsenz, sondern kann ebenso „fühlend“ artikulieren.

Herzlicher Beifall, Bravos. (jö)

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