Concert: Beethovenfest Bonn





August 28, 2008




Paavo Järvi dirigiert Auftakt des Beethovenfestivals
Musiker eröffnet mit Beethovens 9. Sinfonie - Zusammen mit Deutscher Kammerphilharmonie Bremen will er ironische Momente in Musik entdecken
Von Ursula Böhmer


Bonn. 940 Takte ist er lang, der vierte Satz aus Beethovens 9. Sinfonie. Ein Wechselbad unterschiedlicher Musik-Charaktere und unterschiedlichster Tempo-Angaben - es ist sozusagen eine Sinfonie in der Sinfonie. Fast chaotisch, aus dem Zusammenhang gerissen, scheint das Orchester ins Finale hereinzupoltern. Dann werden Dissonanzen ausgeräumt, ausgerechnet von den Kontrabässen, die sich allen thematischen Unterbrechungen zum Trotz sanft, aber unbeirrbar den Weg bahnen ins lichte, melodiöse Elysium aus Solisten- und Chorjubel. Alles nur eine schöne Utopie? Das ist die Frage, die sich Paavo Järvi stellt in seiner Interpretation von Beethovens Neunter, die er mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, Residenz-Orchester beim Beethovenfest, am 29. August in der Beethovenhalle vorstellen wird.Järvi wittert Ironie, schon zu Beginn des Finalsatzes: "Diese Art von Reibung, die oft als Kampf gegen die dissonanten Kräfte unserer Welt interpretiert wurde - das mag stimmen, aber es ist auch eine Art Weckruf, ein Schock, der nicht nur philosophisch zu deuten ist, sondern als Botschaft an uns. Zumal danach dieses große Kontrabass-Solo einsetzt, von dem Beethoven genau wusste, dass es mit den damaligen Streichern furchtbar verstimmt und schlecht gespielt klingen würde."Seid umschlungen, Millionen? Diesen Kuss der ganzen Welt? Paavo Järvi verzieht leicht die Augenbrauen: "Ohne Zweifel gibt es da die Botschaft von Brüderlichkeit, Freiheit und Hoffnung. Aber einiges kommt mir doch merkwürdig vor, besonders nachdem ich den Urtext studiert habe: ?Alle Menschen werden Brüder? steht da - mit Ausnahme der Türken allerdings". Järvi singt jene Stelle zu Beginn des Allegro assai Vivace vor, an der Kontrafagott und Fagotte mit unverbindlich kurzen Einzeltönen in die überraschende Ruhe nach dem Chor-Sturm einsetzen.Sie geben nach und nach den Grundrhythmus vor für eine kleine Janitscharenmusik mit Schlagwerk, Piccoloflötenpfeifen und Trompetensignalen, bevor der Chor dazukommt - unter anderem mit der Zeile: "Laufet, Brüder, eure Bahn, freudig, wie ein Held zum Siegen". "Die türkische Armee kommt hier anmarschiert, sozusagen in kleinen roten orientalischen Pantöffelchen, um Wien zu erobern", erläutert Järvi. "Sie sind ganz und gar nicht Brüder.Das mit den Brüdern gilt vor allem für die deutschsprachigen Menschen, die ihre Feinde letztlich vernichten wollen. Konzeptionell mag Beethoven ja an das Elysium glauben, aber so, wie er schreibt, habe ich das Gefühl, dass er tief innen ein Skeptiker ist, der seine Musik nicht nur heroisch, sondern auch ironisch meint." Friederike Latzko, Bratschistin in der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, könnte mit Järvis Ansatz gut leben: "Ich habe mich immer gewundert bei dem Text, habe manchmal gedacht, ob Schiller das nicht vielleicht sozusagen ?im Suff? geschrieben hat.Natürlich hat der Text auch was - das ist ja eine ganz urmenschliche Angelegenheit, dass man alle lieben möchte und von allen geliebt werden will -, aber es ist auch eine naive weltumfassende Idee." Und wie setzt man die Ironie nun musikalisch um? "Das ist wie bei einem Schauspieler", so Friederike Latzko, "man distanziert sich ein bisschen davon. Das ist für uns natürlich eine ganz andere Herangehensweise, aber ich bin sehr gespannt darauf". Noch probt die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen an Järvis Interpretations-Idee.Was am Ende herauskommen wird, ist, wie immer bei den Bremern, ein Schlagabtausch zwischen Angebot und Nachfrage, zwischen historischer und Järvis Information - und einer Intuition auf beiden Seiten, die immer für eine Überraschung gut ist. Schillers Textzeile "Wem der große Wurf gelungen" könnte sich in Bonn vielleicht kongenial bewahrheiten.

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